Ein Feuer prasselt im offenen Kamin und bereitet einen warmen Empfang. Statt des typischen Spitalgeruchs weht einem aus dem nahen Bistro der Duft von frisch gebackenem Brot und Pizza in die Nase. Schon wenn man den Neubau der Waldkliniken Eisenberg betritt, merkt man: Nach Spital wirkt hier erst einmal nichts. Und doch ist es eines: Mit der Professur für Orthopädie des Universitätsklinikums Jena (UKJ) und dem Sitz des «Deutschen Zentrums für Orthopädie» geniesst es national und international einen hervorragenden Ruf, vor allem für seine innovative Versorgung von Knie und Hüftpatienten. Gleichzeitig sind die Waldkliniken ein Haus der Grund- und Regelversorgung für den Saale-Holzland-Kreis. Pro Jahr werden ambulant und stationär 60 000 Patienten behandelt. Für diese Patienten öffnen sich ab Ende Oktober neue Spitalwelten: In einer Lobby direkt nach dem Betreten der Klinik sitzen bei gedämpftem Licht Gäste zusammen, trinken ein Glas Wein oder eine Tasse Cappuccino und plaudern. Gleich nebenan erwartet den Gast eine Spitalküche im Stil von Vapiano-Restaurants. Wer will, trägt sein Tablett in einen lauschigen Innenhof mit viel Schatten – und viel Grün. Was sich nach Urlaub in einem Hotel anhört, ist in den Waldkliniken Eisenberg demnächst Spitalalltag. «Wir wollten nicht nur ein schönes Gebäude bauen – sondern alles im Spitalbetrieb hinterfragen und gegebenenfalls neu denken und gestalten. Dabei lautete unser Anspruch stets: ‹Der Patient ist Gast› und steht tatsächlich im Mittelpunkt unserer Planung und ist Zentrum des späteren Spitalbetriebs. Wir haben versucht, das in allen Bereichen konsequent umzusetzen, unser Neubau ist also viel mehr als nur eine schöne Hülle. Er zeigt, was in deutschen Spitälern möglich ist», beschreibt Waldkliniken-Gesch.ftsführer David-Ruben Thies den hohen Anspruch hinter dem Neubau.
Design Thinking im besten Sinne
Die Idee zu dem ehrgeizigen Projekt geht auf das Jahr 2010 zurück. Thies war damals seit zwei Jahren Gesch.ftsführer in Eisenberg, zuvor hatte er als Pfleger, Betriebswirt, Personalrat und Assistent der Gesch.ftsführung in mehreren Spitälern ganz unterschiedliche Facetten des Spitalbetriebs kennengelernt – und sich in vielen Punkten gefragt: Warum traut sich niemand, das anders zu machen? Als im Jahr 2010 in Eisenberg darüber entschieden werden musste, langfristig ein in die Jahre gekommenes Bettenhaus aus DDR-Zeiten zu ersetzen, wollte Thies die Chance nutzen: Nicht klein denken, nicht nur ein Gebäude ersetzen – sondern alles im Spitalalltag hinterfragen und dort, wo Handlungsbedarf war, neue Lösungen finden und umsetzen. Dabei stand immer der «Patient als Gast» im Mittelpunkt des Denkens. Alles im neuen Gebäude sollte darauf ausgerichtet werden, Prozesse und Architektur sowie Interior – und so begann ein Planungs-Prozess, der lange bevor Design Thinking in aller Munde war, die Merkmale dieses Denk-Konzepts beherzigte und lebte.
Starke Einbindung der Mitarbeiter von Anfang an
Ein Schlüssel zum erfolgreichen Projekt war auch die starke Einbindung der Mitarbeiter Konzeption, Planung und Umsetzung. In moderierten Grossgruppen, weiterführenden Projektund Arbeitsgruppen und bei Recherche-Reisen, entwickelten die Mitarbeiter gemeinsam die Anforderungen für den Klinikneubau. In einem 1:1-Modell, dem Mockup auf dem Gelände der Waldkliniken, testeten sie in Echtgrösse ihre künftigen Patientenzimmer, Bäder, Veranden und Gänge sowie die Einrichtung und Ausstattung auf deren Praxis-Tauglichkeit. Mitarbeiter und Führungskr.fte entwickelten die Räume und Einrichtungen zur Serienreife. Allein durch den Einsatz des Mockups konnten beim Neubau Kosten in fast siebenstelliger Höhe eingespart werden. Und wenn die Mitarbeiter ab Ende Oktober im Neubau arbeiten, finden sie sich schneller in die Arbeitsabläufe hinein – und identifizieren sich umfassender mit der neuen Umgebung.
Von der Platte in den Kreis
Von einem Plattenbau geht es für Mitarbeiter und Patienten in einen kreisrunden Neubau mit imposanter Holzfassade. Der Grundriss des Hauses ermöglicht jedem Patienten von seinem Zimmer aus einen Blick in die Natur. Die Verwendung von natürlichen Materialien, die erstklassige Ausstattung, die Qualität der Oberflächen und das Verankern von Gastfreundschaft als grundlegendes Arbeitsverständnis leisten einen direkten Beitrag zu einer besseren Genesung der Patienten. 246 Betten zählt der Neubau insgesamt, 13 davon sind für Privatpatienten.
Die Zimmer: Begegnungs- und Rückzugsorte
Funktions-, Rückzugs- und Erholungsräume ergänzen sich im Neubau. Der Gast/Patient und sein Wohlbefinden sind dabei immer zentral. So verfügen die Zimmer über hochwertig ausgestattete Bäder, TVs mit Flachbildschirmen und andere Annehmlichkeiten eines Hotelzimmers. In den Patientenzimmern wird Holz sichtbar an den Rahmen von Aussenfenstern und Verandatüren eingesetzt, das Lärchenholz der Aussenfassade ist über die grossen Fensteröffnungen in den Zimmern und Veranden ständig erlebbar – ganz bewusst, denn auch das Wahrnehmen natürlicher Materialien fördert Wohlbefinden und damit Genesung.
Matteo Thun und HDR mit aussergewöhnlichem Entwurf
Der Neubau trägt die Handschrift des international bekannten Designers und Architekten Matteo Thun aus Mailand. Zusammen mit seinem Team hat er zahlreiche gehobene Hotelbauten in der ganzen Welt realisiert. Das Projekt in Eisenberg war sein erstes Spital. Für die Verbindung von Form und Funktion, Gestaltung und Anforderungen einer modernen Klinik stand das Architekturbüro HDR zur Seite, das seit sechzig Jahren Erfahrungen mit Bauten im Gesundheitswesen hat. Der Neubau war auch für die erfahrenen Spitalplaner, unter anderem mit Büros in Leipzig und Düsseldorf, ein einzigartiges Projekt. 2013 überzeugten Matteo Thun und HDR mit ihrem Konzept die Jury eines internationalen Architektenwettbewerbs und bekamen den Zuschlag für die Realisierung. Bewährte Prinzipien und Innovationen aus der Hotellerie und des Klinikbaus verschmolzen zu einer innovativen Einheit.
Höchste Hygienestandards und wohliges Ambiente
Trotz der hotelähnlichen Atmosphäre für die Patienten: Die Waldkliniken sind immer noch ein Spital, es gelten die gleichen Hygienevorschriften und Standards. Ziel beim Neubau war es, diese Standards neu zu definieren und sogar noch zu übertreffen, um das Infektionsrisiko für die Patienten und die Keimbelastung so niedrig wie möglich zu halten. So sind in dem Neubau alle Räume samt Inventar komplett desinfizierbar. Anforderung im Sinne der Healing Architecture war gleichzeitig, dass das nicht zulasten einer ansprechenden Optik geht. Realisiert wurde das durch den Einsatz innovativer Materialien wie zum Beispiel abwasch- und desinfizierbarer Tapeten und Textilien aus speziellen Kunststoffen.
Digitales Informationssystem mit individualisierten Infos
Sich wohlfühlen bedeutet für viele Menschen auch, sich nicht kümmern zu müssen – zum Beispiel nicht ständig nach etwas fragen zu müssen. Besonderen Service bietet hier das digitale Patienteninformationssystem, das die Gäste vor, während und nach ihrem Aufenthalt mit allen wichtigen Informationen rund um ihren Aufenthalt versorgt. Individualisierte Details zum Tagesablauf erhält der Patient zum Beispiel in Zukunft auf seinen Screen an seinem Krankenbett. Er erfährt dort auch, welcher Arzt heute für ihn da ist und welche Behandlungen für ihn vorgesehen sind.
Die Unit-Struktur auf einem höheren Level
Auch Pflege und zentrale Aufnahme wurden in Eisenberg neu gedacht und entsprechend architektonisch umgesetzt. Bereits bisher vertraute man in Eisenberg auf die Unitstruktur – ein aus den Niederlanden adaptiertes Pflegekonzept. Die Pflegekräfte kümmern sich von der Aufnahme bis zur Entlassung um acht bis maximal zehn fest zugewiesene Patienten. Für den Neubau wurde dieses Konzept der Patientenbetreuung weiterentwickelt. Das Pflegepersonal ist in den offenen Unit-Stützpunkten jederzeit für die Patienten oder Angehörigen präsent und ansprechbar. Für Besprechungen gibt es auf jeder Station Rückzugszimmer. Die Wände dieser Rückzugszimmer sind aus Glas, auch das schafft Präsenz, Nähe und damit Sicherheit – und befriedigt damit zentrale Bedürfnisse im Genesungsprozess.
Boarding statt Patientenaufnahme
Patienten checken in den Waldkliniken ein wie in einem Hotel. Mit einem eigenen Boarding-Bereich, in dem jeder Patient die erste Nacht in den Waldklinken verbringt, schafft es die Klinik, den normalen Pflege-Ablauf mit betreuungsbedürftigen Patienten komplett von der Aufnahme mit wenig betreuungsbedürftigen Patienten zu trennen. Die Pflegekräfte auf den Stationen haben damit deutlich weniger administrative Tätigkeiten. Der Vorteil für den Patienten ist, dass er im Spital ankommen, auspacken und das Haus geniessen kann. Um den späteren Umzug auf das Stationszimmer kümmert sich das Waldkliniken-Team.
Drei Restaurants für eine besondere Kulinarik
Ebenfalls besonders ist die Kulinarik an den Waldkliniken: Drei Restaurants gibt es mit verschiedenen Konzepten für Gäste, Patienten und Mitarbeiter. Bei der Küche wird viel Wert auf frische, regionale und lokale Produkte gelegt. Die Köchin Sarah Wiener hat viele der Rezepte für die Waldkliniken entwickelt – und als Krönung steht Patienten und Besuchern das Restaurant Matteo in der vierten Etage zur Verfügung, das langfristig Küche auf Hauben-Niveau anbieten soll.
Erfolgsgeschichte in einer strukturschwachen Region
Die Waldkliniken Eisenberg gehören nicht zu einem Klinik-Konzern, sondern sind ein Kreisspital. Hauptgesellschafter ist der Saale-Holzland-Kreis, Mindergesellschafter das Universitätsklinikum Jena. Das Haus in öffentlicher Hand ist in der strukturschwachen Region auch eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Seit Jahren schaffen die Waldkliniken eine gesunde schwarze Null in der Bilanz. Auch deshalb wurde der Neubau umfassend vom Freistaat Thüringen gefördert. Von den Gesamtinvestitionen in Höhe von rund 77 Millionen Euro – neben dem Gebäude mit Kosten von 62,5 Millionen Euro fliesst in diese Summe zum Beispiel auch die Gestaltung der Aussenanlagen mit ein – übernimmt der Freistaat Thüringen nach derzeitigem Stand 56,5 Millionen Euro.